Emese ist eine 19-jährige Frau aus Ungarn mit auffallend himmelblauen Augen. Schüchtern betritt sie an einem verregneten Herbstnachmittag das Büro von JADWIGA. Sie versucht Gesprächen aus dem Weg zu gehen, denn sie spricht keine andere Sprache als ihre Muttersprache. Doch ihr Gesicht hellt sich auf, als sie eine warme Begrüßung in Ungarisch hört: Szia! Dann richtet sie sich auf, als ob sie jemandes Erwartungen erfüllen müsste und niemanden enttäuschen möchte. „Wie geht es dir?“ wird sie gefragt. Sie zögert etwas und dann: „Danke, mir geht es wunderbar!“ antwortet Emese lächelnd. Wenige Tage später wird Emese allerdings in einer psychiatrischen Klinik aufgenommen und verbringt dort ein halbes Jahr, denn es ging ihr in Wahrheit gar nicht gut.
Der Alptraum von Emeses Leben begann, als sie gerade 6 Jahre alt war. Da starb ihre Mutter und sie lebte einige Jahre alleine mit ihrem Vater. Dieser war arbeitslos und verbrachte die meiste Zeit zuhause. In dieser Zeit erfuhr Emese sehr häufig sexuelle Gewalt durch den Vater. Schließlich heiratete dieser wieder, und zwar eine Frau mit zwei Töchtern. Emese hoffte, endlich wieder eine Mutter und zwei Schwestern zu bekommen, doch sie wurde bitter enttäuscht. Sie hatte nun weitere drei Feinde, mit denen sie unter einem Dach zusammen leben musste. Als sie 13 Jahre alt war, wurde sie zu ihrer Großmutter geschickt. Diese Großmutter war für Emese eine fürsorgliche alte Dame, die alles für sie tat was sie konnte. Aber nach wenigen Jahren, Emese war gerade 17 geworden, brachten sie ihre Stiefmutter und die Stiefschwestern, nach Deutschland und versprachen ihr dort ein besseres Leben. Doch tatsächlich wurde sie in die Prostitution gezwungen. Damit sie gefügig war und sich nicht wehren konnte wurde sie von den Schwestern permanent unter Drogen gesetzt, und zwar illegale, gefährliche Drogen mit hohem Suchtpotential. Damit die Polizei sie nicht finden konnte, wurde Emese immer wieder in neue Bordelle geschafft. Schließlich, nach zwei Jahren und einer schrecklichen Leidenszeit, wurde sie von der Polizei als mögliches Opfer von Menschenhandel erkannt und an die Beratungsstelle JADWIGA vermittelt. Leider war sie durch all die Gewalt, die sie erfahren hatte, psychisch schwer traumatisiert, und wir verstanden bald, dass sie stationäre Behandlung brauchte. Wir besuchten sie dann jede Woche in der Klinik.
Nach einigen Monaten hatten wir eine gute Möglichkeit der Rehabilitation für sie in Ungarn gefunden. Wir organisierten ihre Rückreise mit dem Flugzeug, so dass diese Reise für sie möglichst angenehm sein würde. Wir arbeiteten mit der Internationalen Organisation für Migration und zwei befreundeten NROs in Ungarn zusammen, und Emese wurde bei der Reise von einem Arzt und einer Sozialarbeiterin begleitet. In Ungarn hatte Emese einen Platz in einem Projekt erhalten, das spezialisiert ist für schwer traumatisierte weibliche Betroffene des Menschenhandels. Durch die Unterstützung der MitarbeiterInnen dieser Einrichtung verbesserte sich ihr psychischer Zustand so sehr, dass sie ein selbstständiges Leben beginnen und eine neue Leidenschaft entdecken konnte: Die Fotografie. Emese kann jetzt endlich Freude am Leben haben, und wir sind glücklich, sie dabei zu begleiten, wenn auch nur noch telefonisch inzwischen.